veröffentlicht am 15.04.2013


Schutzanzüge und Atemschutzmasken: Im Falle eines Atomunglücks könnten diese von Notwendigkeit sein. (Hier: Bei der Aktions- und Menschenkette am 09. März um das AKW Grohnde)
Bildquelle: Michaela Mügge, publiXviewing, Grohne-Kampagne 2013, Flickr, CC BY-NC-SA 2.0

Neun Atomkraftwerke sind in der Bundesrepublik weiterhin im Betrieb und das Letzte seiner Art soll gemäß des "Ausstiegs"gesetzes der schwarz-gelben Bundesregierung erst im Jahr 2022 vom Netz gehen. Solange wird die Bevölkerung dem permanenten Risiko eines GAUs, wie in Japan geschehen, ausgesetzt. Die Urananreicherungsanlage in Gronau, die Brennelementefabrik in Lingen und zahlreiche Atomtransporte unter anderem durch den Nord-Ostsee-Kanal sind von diesem vermeintlichen Ausstieg, der nicht im Grundgesetz verankert ist, nicht betroffen und werden auf unbestimmte Zeit weiter betrieben. Auch die Lagerung des weiterhin anfallenden Atommülls ist längst noch nicht geklärt, weil es kein sicheres Endlager gibt, der Müll für Jahrtausende strahlen wird und kommende Generationen vor ein unlösbares Problem gestellt werden. Jedes Atomkraftwerk ist eine tickende Zeitbombe, die täglich zu explodieren droht. Die bestehenden Atommüll-Zwischenlager stellen nicht minder eine weitere Gefahr dar. Die Menschheit ist somit jederzeit von einer möglichen Atomkatastrophe bedroht, wie wir sie unter anderem bereits in Tschernobyl und Fukushima erleben müssen. Die Politik und namhafte Energiekonzerne nehmen dieses Risiko bewusst in Kauf und stellen damit Profitinteressen über den Schutz von Menschheit und Umwelt. Selbst die besten TechnikerInnen können einen GAU nicht mit Sicherheit ausschließen.

Doch wie geht man mit der Situation um, wenn es tatsächlich zu einer Atomkatastrophe in einem Atomkraftwerk kommt? Sind die vorhandenen Notfallschutzpläne ausreichend und wie gut ist der Ernstfall tatsächlich erprobt? Die BI Kiel gegen Atomanlagen hat Bürgermeisterin Dr. Susanne Gaschke (SPD) befragt, welche präventiven Maßnahmen und Evakuierungsmaßnahmen im Falle eines Atomunglücks im schleswig-holsteiner Atomkraftwerk Brokdorf in Kiel sowie im gesamten Bundesland unternommen würden.

Aus dem Antwortschreiben geht eindeutig hervor, dass der Katastrophenschutz insgesamt vollkommen unzureichend ist und sich "die ergreifbaren Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung auf grundsätzlich wenige Maßnahmen beschränken." Konkret heißt das: Aufenthalt in geschlossenen Räumen, Verteilung von Jodtabletten und eine Evakuierung der Bevölkerung. Doch wie kann weiterhin auf die unbeherrschbare Atomtechnik gebaut werden, wenn es viel zu wenige Maßnahmen zum Schutz der gesamten Bevölkerung gibt?
Der Aufenthalt in geschlossenen Räumen ist nach einer solchen Katastrophe eine folgenschwere Entscheidung, immerhin macht die Strahlung nicht vor Gebäudewänden halt. Es müsste also unmittelbar nach dem Unglück eine Evakuierung aller Städte im Umkreis von ca. 170 Kilometern um das Atomkraftwerk Brokdorf erfolgen. Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) würde die Strahlung ungefähr eine solche Reichweite haben, was aufgrund von Strahlungsart und Wetterbedingungen allerdings variieren kann. Damit wären Kiel und möglicherweise selbst Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) im Ernstfall Sperrgebiet, sodass eine sofortige Evakuierung unabdingbar wäre.
Bürgermeisterin Gaschke schreibt hierzu: "Eine Evakuierung der Landeshauptstadt Kiel wäre eine sehr folgenschwere Entscheidung, [...] so dass eine Fluchtbewegung Richtung Norden anzunehmen wäre, wo wir bald auf die Staatsgrenzen träfen." Weiter heißt es im Schreiben: "Selbstverständlich stünden hierfür in solch einem Fall alle Kräfte der Gefahrenabwehr aber sicherlich auch der Wirtschaft, z.B. der Verkehrsunternehmen zur Verfügung." Es zeigt einmal mehr, dass alleine die Landeshauptstadt Kiel eine solche Evakuierung nicht leisten könnte und auf eine praktische Umsetzung in keinster Weise vorbereitet ist. Wie können Kräfte der Gefahrenabwehr sichergestellt werden, wenn diese - und das wäre menschlich vollkommen nachvollziehbar - selbst auf der Flucht sind? Des Weiteren wird hierbei überhaupt nicht klar, welche genauen Aufgaben diese zu erledigen haben bzw. wie die Verantwortlichkeiten geregelt sind. Ohnehin ist es sehr naiv, dass sich die Bürgermeisterin bei einer solchen Katastrophe auf privat wirtschaftende Verkehrsbetriebe verlässt, die dann eine Evakuierung unterstützen sollen. Welches Interesse hätte ein solches Unternehmen daran, dass ansonsten auf gewinnbringende Aufträge angewiesen und nicht dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Welche Straßen speziell zur Evakuierung zur Verfügung stehen, lässt sie komplett offen. Darüber hinaus beziffert sie nicht, in welchem Zeitraum eine solche Evakuierung realistisch durchgeführt werden könnte.

Selbst die Verteilung von Jodtabletten ist mangelhaft: "Die Jodtabletten befinden sich in ausreichender Menge im Zentrallager in Neumünster und werden im Bedarfsfall umgehend an die Berufsfeuerwehr Kiel ausgeliefert", schreibt Dr. Susanne Gaschke. Damit überhaupt eine ernsthafte Wirkung erzielt werden kann, müssten diese Tabletten vor einem GAU eingenommen werden, was natürlich nicht planbar ist. Werden diese Präparate vorsätzlich eingenommen, kann dieses gesundheitsschädlich sein, zumal zu viel Jod bei Erwachsenen über 45 Jahren das Risiko für Schilddrüsenerkrankungen steigern kann. Darüber hinaus ergibt sich aus dieser Aussage ein weiteres logistisches Problem, weil im Falle einer Katastrophe die Tabletten erst in die einzelnen Gemeinden verteilt werden müssten. Das ist viel zu zeitintensiv und möglicherweise unmöglich, wenn die Straßen durch Strahlen-Flüchtlinge verstopft sind. Demnach würden weiter entfernte Orte erst viel zu spät die benötigten Tabletten erhalten. Außerdem ist unklar, was hierbei unter einer "ausreichenden Menge" zu verstehen ist, sodass zu niedrige Lagerbestände die Folge sein könnten.
Die Verteilung vor Ort ist wie folgt angedacht: "Vorgesehen sind Ausgabestellen an den Feuerwehrhäusern der Freiwilligen Feuerwehren und den Wachen der Berufsfeuerwehren; weitere Ausgabestellen könnten vorbehaltlich der Verfügbarkeit von ausreichend Personal an anderen städtischen Einrichtungen (Rathaus, Verwaltungsstellen, Schulen) eingerichtet werden."
Abermals wird von optimalen Voraussetzungen ausgegangen, weil auch die dafür vorgesehenen Einsatzkräfte - wie bereits erwähnt - auf der Flucht sein könnten und somit eine Verteilung unmöglich gemacht wird. Ebenso ist ungewiss, ob die dann vorhandenen Ausgabestellen ausreichen, um die großen Menschenmengen zügig versorgen zu können. Ausreichend Personal für weitere Ausgabestellen ist demnach auch nicht sichergestellt, was ebenfalls fahrlässig ist.

"Die Versorgung schwer kontaminierter und strahlenbelasteter Menschen sollte in Kiel aufgrund der Entfernung kaum in Betracht kommen. Krankenhäuser in Kiel verfügen über radiologisch geschulte Ärzte, aber nicht über spezielle Abteilungen zur Aufnahme von Strahlenkranken", schreibt Bürgermeistern Gaschke in ihrem Antwortschreiben und relativiert damit nochmals die Gefahren einer möglichen Atomkatastrophe im Atomkraftwerk Brokdorf. Wie bereits erwähnt, geht das Bundesamt für Strahlenschutz davon aus, dass ca. 170 Kilometer um das betroffene Atomkraftwerk alles verstrahlt und dieses Gebiet somit unbewohnbar sein könnte. Es ist de facto falsch, dass in Kiel keine Versorgung schwer kontaminierter und strahlenbelasteter Menschen in Betracht kommt - das Gegenteil ist der Fall! Deshalb ist es auch fatal, dass das Städtische Krankenhaus über keine spezielle Abteilung zur Aufnahme von Strahlenkranken verfügt, obwohl diese unabdingbar wäre.
Außerdem muss sie sich eingestehen, dass noch nie eine Katastrophenschutzübung mit dem Führungsstab und der Bevölkerung durchgeführt wurde und für die Zukunft auch nicht geplant ist. Das ist eine untragbare Aussage, die eindeutig zeigt, dass die drohende Gefahr heruntergespielt und die Bevölkerung sich im Ernstfall selbst überlassen wird.

Bürgermeisterin Dr. Susanne Gaschke fasst sich sehr kurz in ihrem Schreiben und unterstreicht auch damit, dass die Katastrophenschutzpläne und sonstige damit verbundene Maßnahmen unzureichend sind und sie sich selbst noch viel zu wenig mit dieser bedrückenden Thematik auseinandergesetzt hat. Insgesamt bleiben ihre Antworten viel zu oberflächlich, teils geht sie auf essentielle Fragestellungen gar nicht erst ein.
Somit bleibt weiterhin ungeklärt, wie viele Menschen durch Dekontaminationseinheiten pro Stunde untersucht und ggf. dekontaminiert werden könnten. Auch lässt sie offen, wie viele Strahlenschutzanzüge und Atemschutzmasken für die Landeshauptstadt verfügbar sind. Es findet sich ebenfalls kein Kommentar zur drohenden Gefahr durch Atomtransporte durch den Nord-Ostsee-Kanal und andere Gewässer, sowie zu den fehlenden Vorbereitungen auf Unglücke in eben diesem Kanal.

Damit zeigt sich eindeutig, dass diese ständig drohende Gefahr bewusst toleriert wird, politische EntscheidungsträgerInnen wie Frau Dr. Gaschke sich dieser komplexen Problematik nicht bewusst genug und die aktuell bestehenden Katastrophenschutzpläne überhaupt nicht ausreichend sind.
Es ist somit eine sofortige Abschaltung aller Atomanlagen weltweit notwendig, um die Gefahr eines erneuten GAUs zu verhindern und die tägliche Produktion von neuem Atommüll, für den es immer noch kein sicheres Endlager gibt, und damit verbundene Atomtransporte stoppen zu können. Sollte es hier allerdings tatsächlich zu einem Atomunglück wie in Tschernobyl oder Fukushima kommen, werden wir alle vor einer unlösbaren Katastrophe stehen: panikartige Fluchtbewegungen, verstopfte Straßen, unzureichende Information der Bevölkerung durch die Medien und ähnliche kaum vorstellbare Szenarien könnten die Folge sein. Unabhängig davon, werden wir die dann anfallenden Probleme mit den genannten Maßnahmen niemals zumindest eindämmen können.

Die Fragen der BI und die Antwort der Bürgermeisterin können in der Materialbörse eingesehen werden.

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